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Dieses Urteil wird in der Gerichtspraxis ein gutes Stück Barrierefreiheit durchsetzen. Es handelt sich zwar um ein Urteil aus dem Mietrecht, der Fall ist aber auf jeden anderen Rechtsstreit übertragbar (Landgericht (LG) München I, 12.9.2023, Az. 14 T 9699/23).
Eine Vermieterin hatte ihrer Mieterin wegen eines Zahlungsverzugs gekündigt und sie dann auf die Räumung der Wohnung verklagt. Die Mieterin behauptete nun, sich in einem mit Blindheit vergleichbaren Zustand zu befinden. Nach einem ärztlichen Attest sei sie „funktionell erblindet“ und daher in allen Bereichen des Alltags schwer in ihrer Selbstständigkeit eingeschränkt. Ihr Zustand erfordere es, dass „die Augen die meiste Zeit des Tages sowie in der Nacht mit Uhrglasverband abgeklebt werden“.
Mieterin forderte Audiodateien
Da die Mieterin der Blindenschrift nicht mächtig war, beantragte sie mehrfach, ihr sämtliche Schriftsätze des gerichtlichen Verfahrens barrierefrei in Form einer Audiodatei zur Verfügung zu stellen. Gegen eine ablehnende Entscheidung legte die Mieterin sofortige Beschwerde ein.
Mieterin bekam recht nach ihrer Beschwerde
Und sie bekam recht! Sie konnte – trotz anwaltlicher Vertretung – die barrierefreie Übermittlung der Schriftsätze in Form von Audiodateien verlangen. Das Gericht nannte diese Normen in seiner Begründung: § 191a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz i. V. m. § 4 Zugänglichmachungsverordnung (ZMV).
Danach kann eine blinde oder sehbehinderte Person verlangen, dass ihr Schriftsätze und andere Dokumente eines gerichtlichen Verfahrens barrierefrei zugänglich gemacht werden.
Andere Gerichte sehen das anders
Da das Gericht von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs abgewichen ist, hat es die Rechtsbeschwerde zugelassen. Es wird abzuwarten sein, wie weiter entschieden wird. Vieles spricht jedoch dafür, dass das Urteil richtig ist. Auch sehbehinderte Menschen müssen an Gerichtsverfahren bestmöglich beteiligt werden. Nur das ist eine echte Inklusion vor den deutschen Gerichten in Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention.

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