Passgenaue Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen können Sie die Entgeltfortzahlung kosten

24. Januar 2024
adobe.stock.com - Tanja Esser

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Sind Sie arbeitsunfähig erkrankt, müssen Sie dies Ihrem Dienstherrn anzeigen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als 3 Tage, müssen Sie zusätzlich noch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Die AU-Bescheinigungen haben grundsätzlich einen hohen Beweiswert. Oft genug zweifeln Arbeitgeber und Dienstherren den Beweiswert, die Rechtsgültigkeit der AU-Bescheinigungen aber an und behalten die Entgeltfortzahlung ein. Manchmal auch zu Recht (Bundesarbeitsgericht (BAG), 13.12.2023 – 5 AZR 137/23).

Auf Kündigung folgt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Der Fall: Ein Arbeitnehmer war seit März 2021 als Helfer beschäftigt. Am Montag, dem 2.5.2022, legte er einen gelben Schein über den Zeitraum vom 2.5. bis 6.5.2022 vor. Am 2.5.2022 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 31.5.2022. Der Arbeitnehmer wiederum legte Folgebescheinigungen vom 6.5.2022 und vom 20.5.2022 vor. Die Folgebescheinigung vom 20.05.2022 lief genau bis zum 31.5.2022.

Ab dem 1.6.2022 war der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig und trat seine neue Stelle an. Der ehemalige Arbeitgeber verweigerte die Entgeltfortzahlung. Durch die passgenaue zeitliche Lage sei der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert. Der Arbeitnehmer widersprach, er sei schon vor Zugang der Kündigung arbeitsunfähig gewesen. Er klagte auf Entgeltfortzahlung. In der ersten und zweiten Instanz gewann er auch. Das BAG urteilte differenzierter:

Passgenau ist verdächtig

Das Urteil: Arbeitnehmer können eine behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen. Diese haben einen hohen Beweiswert. Der Arbeitgeber kann die tatsächlichen Umstände, die in einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben, darlegen und damit diesen Beweiswert erschüttern. Solche Umstände bzw. berechtigte Zweifel können auftreten, wenn sich der Zeitraum der Krankschreibung genau mit dem Zeitraum der Kündigungsfrist deckt. Es sind 3 AU-Bescheinigungen zu betrachten:

Der Beweiswert der AU-Bescheinigung vom 2.5.2022 ist nicht erschüttert. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist hier nicht gegeben. Der Arbeitnehmer wusste nichts von den Kündigungsplänen.

Bei den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6.5. und vom 20.5.2022 ist der Beweiswert aber schon erschüttert. Es handelt sich um Folgebescheinigungen, die genau bis zum Ende der Kündigungsfrist reichen. Zudem hat der Beschäftigte am Tag nach Ende der AU seine neue Arbeitsstelle angetreten.

Also muss er für die Zeit vom 7.5. bis zum 31.5.2022 das Bestehen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz voll beweisen. Die bloße AU reicht hierfür nicht. Der Fall wurde an das Landesarbeitsgericht zur Entscheidung zurückverwiesen, da es hierzu keine Feststellungen getroffen hat. Wir können aber davon ausgehen, dass es im Sinne des BAG urteilen wird.

 Fazit: Ehrlich währt am längsten

Erhalten Mitarbeiter die Kündigung, lassen sich viele bis zum Ablauf der Kündigungsfrist krankschreiben. Nach diesem Urteil aber sollten Sie Ihren Kollegen dringend raten, von diesem Verhalten Abstand zu nehmen, denn es kann sie die Entgeltfortzahlung kosten bzw. einen Rechtsstreit um die Entgeltfortzahlung provozieren. Lieber sollte man in der Kündigungsfrist Urlaub und Arbeitszeitguthaben abbauen. Natürlich kann dann beides nicht abgegolten werden, aber so muss man – zumindest für einen Teil der Kündigungsfrist – auch nicht arbeiten und hat einen rechtswirksamen Deckel auf sein altes Arbeitsverhältnis gemacht. Wer keinen Urlaub bzw. kein Arbeitszeitguthaben mehr hat, kann versuchen, sich mit dem Dienstherrn auf eine bezahlte Freistellung zu einigen. Im schlimmsten Fall muss in der Kündigungsfrist gearbeitet werden. Da müssen die Beschäftigten durch, so will es schließlich das Gesetz!

Wichtig: Entbinden Sie Ihre Ärzte nicht

In letzter Zeit verlangen Dienstherren sehr schnell eine Befreiung der häufig erkrankte Arbeitnehmer behandelnden Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht. So soll geklärt werden, ob es sich um Fortsetzungs- oder neue Erkrankungen handelt. Geben Sie diese Entbindung nicht vorschnell – bzw. lassen Sie den Arzt nur bescheinigen, ob es eine neue Erkrankung ist oder eine Folgeerkrankung. Mehr muss der Arbeitgeber nicht wissen. Und denken Sie bitte auch daran, dass Ihr Dienstherr bei einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als 6 Wochen erst mal ein BEM (betriebliches Eingliederungsmanagement) anbieten muss, bevor er an Sanktionen denkt! So schnell schießen die Preußen also auch in der Dienststelle nicht!

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