Manchmal ist der Gang vor ein Gericht unumgänglich. Doch wofür sind eigentlich die Sozialgerichte zuständig? Kann ich dort ohne Anwalt klagen? Und wer trägt die Kosten? Diese und viele andere Fragen beantwortet Ihnen dieser Beitrag. Mit dem Wissen können Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen bei einem Sozialgerichtsstreit unterstützen und beraten.
Als Personalrat können Sie nicht direkt vor das Sozialgericht (SG) ziehen. Für Sie als Gremium ist in der Regel das Verwaltungsgericht zuständig. Geht es aber um die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB), um abgelehnte Leistungen für schwerbehinderte Menschen und Ähnliches, sind Sie vor dem SG richtig.
Knapp eine halbe Million Verfahren jährlich
In der Bundesrepublik gibt es jedes Jahr knapp eine halbe Million Verfahren vor den deutschen Sozialgerichten. Grob geschätzt kommen 10 % dieser Verfahren aus dem Schwerbehindertenrecht.
Die Kosten vor dem SG
Betroffene, die gegen eine Behörde, ein Amt oder eine Versicherung klagen, müssen in der Regel „nur“ die Kosten für den eigenen Anwalt bezahlen, wenn sie verlieren. Gerichtskosten fallen dann nicht an. Ob ein Rechtsanwalt zuvor engagiert werden soll oder nicht, kann man nicht pauschal raten. Zwingend erforderlich ist das jedenfalls nicht. In wirklich wichtigen Angelegenheiten, die langfristige Wirkung haben und bei denen es letztendlich um hohe Summen geht, ist es ratsam, einen Fachanwalt für Sozialrecht hinzuzuziehen.
Mit Rechtsanwalt oder ohne?
Sie möchten Ihren GdB von 50 auf 100 heraufsetzen lassen. Das Versorgungsamt ist Ihrem Antrag nicht nachgekommen und nun müssen Sie entscheiden, ob Sie eine Klage gegen den ablehnenden Bescheid einreichen wollen oder nicht. Dabei handelt es sich um einen typischen Fall, den Sie unter Umständen ohne einen Rechtsanwalt durchführen können. Letztendlich muss ein Gutachter, den das SG beauftragt, feststellen, ob Ihr Verschlimmerungsantrag gerechtfertigt ist oder nicht.
Im Zweifel wird ein Rechtsanwalt auch nicht viel helfen. Andererseits achtet der Rechtsanwalt Ihres Vertrauens auf ein faires Verfahren, hat vielleicht noch weitere Ideen und kann sicherlich alles andere als schaden. Die Frage ist nur, ob Sie sich das leisten können und wollen. Wenn Sie verlieren, zahlen Sie Ihren Anwalt selbst. Natürlich besteht stets die Möglichkeit einer Prozesskostenhilfe, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind.
Die Rechtsschutzversicherung
Beim Abschluss einer Rechtsschutzversicherung sollten Sie darauf achten, dass diese auch Klagen vor dem SG einschließt. In älteren Verträgen werden die Anwaltskosten nur für das Klageverfahren übernommen, in neueren Verträgen meist auch schon im Widerspruchsverfahren. Häufig wird eine Selbstbeteiligung vereinbart, die Sie dann in jedem Fall selbst zahlen müssen. Im Regelfall sind das 150 € pro Versicherungsfall. Ist das Sozialrecht mit abgedeckt von der Versicherung, werden Ihre Anwaltskosten übernommen.
Streitigkeiten vor Sozialgerichten gibt es viele
Die Kläger | Darum geht es |
Leistungsempfänger des Jobcenters | Bei etwa 1/4 aller Klagen vor dem SG ist das Jobcenter im Spiel. Dabei geht es um Sozialleistungen wie das eigentliche Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Krankengeld, Wohngeld u. Ä. |
Leistungsempfänger der Arbeitsagenturen | Oft gibt es Streit über die Höhe des Arbeitslosengelds, Sperrfristen und Ruhezeiten. |
Menschen mit einer Behinderung | Menschen mit Behinderungen streiten sich mit Ämtern, Behörden oder der Sozialversicherung. Dabei kann es um einen Antrag auf Gleichstellung zur Schwerbehinderung, ein Antrag auf Arbeitsassistenz, ein Antrag auf Feststellung des GdB o. Ä. gehen. |
Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung | Streitigkeiten mit einer gesetzlichen Rentenversicherung kommen etwa genauso oft vor wie Streitigkeiten aus dem Behindertenrecht. Dabei geht es häufig um die Feststellung, ob und in welcher Höhe jemandem eine Rente zusteht oder nicht. |
Mitglieder der gesetzlichen Krankenkasse | Dabei geht es häufig um Anträge auf eine Kur, auf Hilfsmittel oder Behandlungen. |
Mitglieder der gesetzlichen Pflegeversicherung | Gestritten wird über den Pflegegrad, Hilfsmittel oder Mittel für einen barrierefreien Umbau. |
Mitglieder der gesetzlichen Unfallversicherung | Streit gibt es häufig über die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall oder über die Zahlung einer Rente. |
Vertragsarztangelegenheiten | Dabei geht es um Streitigkeiten mit Ärzten, die eine Kassenzulassung haben, also ganz häufig um die Höhe von Honoraren. |
Asylbewerber | Auch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz werden häufig vor dem Sozialgericht eingeklagt. |
Die Klagefrist
Ganz wichtig ist, dass Sie die sogenannte Klagefrist einhalten. Ab dem Tag, an dem Sie den Widerspruchsbescheid erhalten haben, müssen Sie binnen eines Monats die Klage einreichen. Es kommt nicht darauf an, wann Sie tatsächlich den Bescheid lesen, sondern wann er Ihnen zugegangen, also in Ihrem Briefkasten gelandet ist.
Versäumen Sie die Frist, können Sie in aller Regel keine Klage mehr einreichen, da diese dann unzulässig ist.
Berechnung der Klagefrist
Lag der Widerspruchsbescheid am 8.8.2022 in Ihrem Briefkasten, muss Ihre Klage spätestens am 8.9.2022 beim Sozialgericht sein.
Die Form Ihrer Klage
Ein Rechtsanwalt muss eine Klage auf elektronischem Weg über das sogenannte besondere elektronische Anwaltspostfach versenden. Ohne Rechtsanwalt können Sie die Klage auch selbst schriftlich beim SG einreichen. Schriftlich bedeutet, dass Sie sie auch unterschreiben müssen. Sie können es sich aber ganz einfach machen: Sie gehen zur Rechtsantragsstelle des SG und dort nimmt ein Justizbeamter die Klage für Sie auf. In diesem Fall sollten Sie die entsprechenden Anlagen für die Klage mitnehmen.
Die Klageschrift selbst
Das muss in der Klage stehen | Beispiele |
Ihr Name und Ihre Adresse | Ina Möller, Beispielweg 5, 22222 Musterstadt |
Name und Adresse der beklagten Behörde oder Versicherung | Kreis Musterhausen, Versorgungsamt, Rehaweg 6, 88888 Beispielstadt |
Der Klageantrag, damit jeder weiß, was Sie wollen | Ich beantrage die Aufhebung/ Änderung des Bescheides vom …, Az. … und/oder Ich beantrage, den Beklagten zu folgender Leistung zu verurteilen: … |
Eine Begründung, weshalb Sie klagen | In dem angegriffenen Bescheid ist der GdB zu niedrig festgesetzt. Für die Feststellung hätten alle meine aufgeführten Beschwerden berücksichtigt werden müssen. Der angefochtene Bescheid hat die Schwere meiner Behinderung nicht ausreichend gewürdigt. |
Eine Kopie des Bescheids der Behörde oder Versicherung, gegen den Sie Widerspruch erhoben haben | der Ursprungsbescheid |
Eine Kopie des Widerspruchsbescheids | der Widerspruchsbescheid |
Weitere wichtige Unterlagen | Das können ärztliche Atteste, RehaBerichte und Ähnliches sein. |
Der Aufbau des Gerichts
Das SG besteht aus der Präsidentin, dem Vizepräsidenten, Berufsrichterinnen und Berufsrichtern sowie ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern.
Jede Kammer des SG wird in der Besetzung mit einer Berufsrichterin oder einem Berufsrichter als Vorsitzender/Vorsitzendem und 2 ehrenamtlichen Richterinnen oder Richtern als Beisitzerin bzw. Beisitzer tätig. Bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und bei Gerichtsbescheiden wirken die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter nicht mit.
Die Zuständigkeit der einzelnen Kammern ergibt sich aus dem Geschäftsverteilungsplan des SG.
Der Ablauf des Gerichtsverfahrens
Die Klage wird nach dem Einreichen seitens des Gerichts der Gegenseite geschickt. Diese hat dann die Möglichkeit der Stellungnahme. Dann wird in der Regel vom SG ein Gerichtstermin bestimmt. Manchmal gibt es auch noch einen vorgelagerten Erörterungstermin, in dem das Gericht versuchen will, dass die Parteien sich einigen. An vielen Stelle des Verfahrens wird das Gericht eine gütliche Einigung vorschlagen.
Wenn Sie die Einladung zum Gerichtstermin erhalten, steht auch darin, ob Sie persönlich erscheinen müssen oder ob es reicht, dass Ihr Anwalt da ist. Ich empfehle Ihnen, stets persönlich dabei zu sein, es sei denn, Ihr Anwalt rät Ihnen dringend davon ab. Manchmal kann das sinnvoll sein. Haben Sie keinen Anwalt, müssen Sie natürlich selbst hin.
In einfachen Fällen kann das SG auch ohne mündliche Verhandlung durch einen sogenannten Gerichtsbescheid entscheiden. Das geht aber nur, wenn alle Beteiligten damit einverstanden sind.
Die mündliche Verhandlung
In der mündlichen Verhandlung sind ein Berufsrichter und 2 ehrenamtliche Richter anwesend. Die Richter erörtern die Sach- und Rechtslage und entscheiden im Regelfall am Ende der Sitzung. Das muss aber nicht immer ein Urteil sein, häufig muss gerade in Sozialrechtsangelegenheiten zuvor ein Gutachter bestellt werden. Ist das der Fall, wird es häufig noch einen 2. Gerichtstermin geben. Entweder Sie bekommen dann recht oder Ihre Klage wird als unbegründet abgewiesen. Dann haben Sie verloren.
Das vollständige Urteil erhalten Sie per Post durch das Gericht zugestellt. Das kann aber auch schon mal einige Wochen dauern.
Die Berufung
Sie können gegen ein Urteil Berufung einlegen und das Urteil vom Landessozialgericht prüfen lassen. Dafür sollten Sie aber einen Anwalt zurate ziehen.
Der Vergleich
Viele Verfahren enden auch vor Sozialgerichten in einem Vergleich. Oft ist das sinnvoll, das Gericht wird dann einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten.
Keine Angst vor dem SG
Ermutigen Sie als Personalrat betroffene Kolleginnen und Kollegen, den Gang vor das SG zu wagen, auch wenn die Verfahren oftmals lange dauern. Die ablehnende Entscheidung einer Behörde muss beim besten Willen nicht immer richtig sein.

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