Neues zur Arbeitszeiterfassung und Überstundenvergütung

05. September 2022

Die berühmt-berüchtigte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Arbeitszeiterfassung durch Arbeitgeber dürfte mittlerweile bekannt sein. Auch ich hatte Ihnen in der letzten Ausgabe dazu bereits berichtet. Aber das ist noch längst nicht alles!

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann (BAG, 13.9.2022, Az. 1 ABR 22/21). Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) ist der Arbeitgeber nämlich gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen.

Dies schließt ein – unter Umständen mithilfe der Einigungsstelle durchsetzbares – Initiativrecht des Betriebs- oder Personalrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus. Wie Sie nun im Einzelnen vorgehen, um eine Arbeitszeiterfassung durchzusetzen, erfahren Sie übrigens in der Beantwortung einer Leserfrage am Ende dieser Ausgabe auf Seite 11.

Wenige Monate zuvor hat das BAG aber zu einer sehr ähnlichen Problematik etwas für Ihren Dienstherrn Beruhigendes geurteilt (4.5.2022, Az. 5 AZR 359/21). Und wenn es für Ihren Dienstherrn beruhigend ist, sollte es Sie als Personalrat aufhorchen lassen:

Der Fall der fehlerhaften Arbeitszeitaufzeichnung

Ein Arbeitnehmer war als Auslieferungsfahrer beschäftigt. Seine Arbeitszeit erfasste er mittels technischer Zeitaufzeichnung, aber nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden. Mit seiner Klage verlangte der Arbeitnehmer daraufhin eine Überstundenvergütung in Höhe von 5.222,67 € brutto. Er machte geltend, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Pausen zu nehmen sei nicht möglich gewesen, weil er sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätte abarbeiten können.

Zunächst wurde der Klage stattgegeben

Das erstinstanzliche Arbeitsgericht Emden gab der Klage statt. Seine Begründung: Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.5.2019 (Az. C-55/18), wonach die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen, hätten es die Arbeitnehmer im Überstundenvergütungsprozess leichter. Die positive Kenntnis von Überstunden durch den Arbeitgeber sei jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn er sich die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung hätte verschaffen können.

Beim BAG war dann aber Schluss für den ehemaligen Arbeitnehmer

Das BAG war anderer Auffassung. Danach hat das Urteil des EuGH nichts an der Darlegungs- und Beweislast geändert. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH beschränken sich diese Bestimmungen darauf, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Sie finden indes grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer. Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit hat deshalb keine Auswirkung auf die entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess.

Da reicht die bloße pauschale Behauptung des Arbeitnehmers ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten nicht aus. Er hätte jede einzelne Pause aufzeichnen müssen.

Pauschale Behauptungen reichen nicht

Die europarechtliche Pflicht zur Zeiterfassung dient dem Gesundheitsschutz und hat vergütungsrechtlich keine Konsequenzen. Die pauschale Behauptung des Mitarbeiters, Überstunden geleistet zu haben, reichte deshalb nicht, um seine Forderungen zu rechtfertigen. Es bleibt aber abzuwarten, wie solche Verfahren künftig entschieden werden. Das BAG geht davon aus, dass die Arbeitszeit der Arbeitnehmer „nur“ wegen des Gesundheitsschutzes aufzuzeichnen ist. Damit würden solche pauschalen Klagen wie die des Auslieferungsfahrers im vorliegenden Fall auch weiterhin abgeschmettert werden können. Falls jedoch künftig die gesamte Arbeitszeit inklusive der Pausen zu erfassen ist, dürfte anderes gelten. Und das ist gut für Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen.

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